Das Museum der (un-)persönlichen Objekte

Spielkarte aus der Publikation »Ins Offene – Kultur der Vielfalt gestalten«

»Wir hätscheln und missachten sie. Wir lieben und zerstören sie. Wir genießen sie und ärgern uns gewaltig, sobald sie ihren Dienst verweigern. Wir verfluchen sie oder suchen sie verzweifelt. Wir verehren sie oder greifen nach ihnen, ohne sie anzusehen. Wir schonen oder polieren sie, schmeißen sie gegen die Wand oder fahren sie zu Klump.« (Selle 1997, 24)

 

Bei der Betrachtung unseres Alltags ist auffällig, dass wir einen zunehmend größeren Teil unserer Zeit darauf verwenden, mit Dingen unterschiedlichster Art umzugehen. Mit ungefähr 10.000 Gegenständen umgibt man sich im Laufe des Lebens (Alltagskultur 1980). Nach dem Autor Gert Selle sind Dinge immer mit unserer eigenen Geschichte, mit unseren eigenen Verhaltensweisen und mit unserem Bewusstsein verbunden (Selle 1997). Ohne Objekte würde es keine Subjekte geben (vgl. Selle 1997, 18). Dinge können praktische »Mittel zum Zweck« sein, können als »anonymes Alltagsdesign« oder als »Massenobjekt« dienen, besitzen Ritual- oder Symbolfunktion oder werden als Fetisch- und Sammelobjekte wahrgenommen.

Sie spielen sowohl auf der ökonomischen (Knapp 1996), technischen (Andritzky 1992, Schönhammer 2000), als auch auf der kulturellen (Kaminsky 1999), gesellschaftlichen (Bourdieu 1982), ästhetischen (Hartmann 2000) und psychischen Ebene (Haubl 2000) eine Rolle. Der Mensch ist mit diesen persönlichen Gegenständen verbunden, wie mit seinen eigenen Organen (vgl. Baudrillard 2007, 39). Sie verweisen auf relevante biografische Fragen und formen das »Ich«. Objekte sind Schlüssel zu individuellen Biografien und Kulturen. In der Herstellung von Dingen und Interaktion mit diesen verkörpern sich Ziele, Erinnerungen und Erfahrungen der Menschen. Der Mensch konkretisiert sich in Dingen (vgl. Bosch 2012, 91). Objekte dienen der symbolischen Kommunikation und Selbstkommunikation, das heißt sie signalisieren, wer mensch ist und wo mensch sich sozial verortet. Persönlichen Dinge gelten als Schalt- und Schnittstellen in individuellen Biographien. Über sie erhält man Zugang zu Wendepunkten, persönlichen Selbstentwürfen, identitätsprägenden Erfahrungen und Erlebnissen, zu Verlusten und Gewinnen im Lebenslauf (vgl. Bosch 2010, 469). Für Aida Bosch (2012) sind Dinge »alle alltäglichen Gegenstände des Menschen wie Werkzeuge, Hilfsmittel, Geräte, Nutzobjekte aller Art oder auch rituelle Objekte« (Bosch 2012, 51). Dabei stellt sie zwei wesentliche Aspekte von Dingen heraus: den Symbolcharakter, das heißt die symbolische Wirkung von Dingen, die durch eine gewisse Zeichenhaftigkeit und die darüber vermittelten Aussagen erzielt wird, und die Dinglichkeit bzw. stoffliche Materialität, das heißt die materiellen Eigenschaften, Funktionen und Gebrauchsweisen. Diese beiden Aspekte stehen Aida Bosch zufolge in einem ständigen Wechselverhältnis zueinander und sind nicht voneinander zu trennen.

 

Objekte sind Artefakte der Kultur, die mit persönlicher Bedeutung aufgeladen werden – in der Kommunikation mit anderen und in der Kommunikation mit sich selbst. Wenn die persönlichen Gegenstände beschädigt werden oder abhandenkommen, reagieren Menschen stark emotional und es wird deutlich, wie sehr Objekte identitätsrelevant sind, und das obwohl ihre Herstellung in der Regel heutzutage sehr »unpersönlich« ist (vgl. Bosch 2010, 21).

 

»[…] und ein paar Tage später kriegte ich von ihr diesen Stoffelefanten geschenkt. […] Und dieser Elefant, der hat mich immer und überall begleitet, […] und ich habe den letztes Jahr, habe ich gedacht, den muss ich mal waschen, den habe ich die ganze Zeit nicht gewaschen. Und ich habe den gewaschen und es klingt merkwürdig, aber zwei Tage später ruft mich Brigitte an aus Berlin, nach ganz langer Zeit, nach 19, 20, 21 Jahren, ich weiß es gar nicht genau. Sie wollte doch mal wissen und sie hatte ganz großes Herzklopfen und […] mir standen die Haare zu Berge, weil ich diesen Elefanten gewaschen habe. Irgendwie, hatte ich da komischerweise, habe ich da ein Zusammenhang gesehen.« (Interviewauszug: Lotti K.)

Literatur
Andritzky, Michael (Hrsg.) (1992): Oikos. Von der Feuerstelle zur Mikrowelle. Haushalt und Wohnen im Wandel, Gießen: Anabas-Verlag Günter Kämpf.

 

Baudrillard, Jean (2007): Das System der Dinge. Über unser Verhältnis zu den alltäglichen Gegenständen, Frankfurt a. M.: Campus.

 

Bosch, Aida (2012): Sinnlichkeit, Materialität, Symbolik. Die Beziehung zwischen Mensch und Objekt und ihre soziologische Relevanz, in: Moebius, Stephan/Prinz, Sophia (Hrsg.): Das Design der Gesellschaft. Zur Kultursoziologie des Designs, Bielefeld: transcript Verlag, S. 49-70.

 

Bosch, Aida (2010): Konsum und Exklusion. Eine Kultursoziologie der Dinge, Bielefeld: transcript.

 

Bourdieu, Pierre (1987): Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft, Frankfurt a. M.: Suhrkamp.

 

Haubl, Rolf (2000): Be-dingte Emotionen. Über identitätsstiftende Objekt-Beziehungen, in: Hartmann, Hans- A./Haubl, Rolf (Hrsg.): Von Dingen und Menschen. Funktion und Bedeutung materieller Kultur, Wiesbaden: Westdeutscher Verlag, S. 13-36.

 

Kaminsky, Annette (1999): »Mehr produzieren, gerechter verteilen, besser leben«. Konsumpolitik in der DDR, in: Aus Politik und Zeitgeschichte. Bd. 28, S. 12-20.

 

Knapp, Andreas (1996): Über den Erwerb und Konsum von materiellen Gütern. Eine Theorienübersicht, in: Zeitschrift für Sozialpsychologie, 27, S. 193-206.

 

Meyer-Drawe, Käte (1999): Herausforderung durch die Dinge. Das Andere im Bildungsprozeß, in: Zeitschrift für Pädagogik. Jg. 45/Heft 3, S. 329-336.

 

Schönhammer, Rainer (2000): Status, Luxus, Habitus, in: Hartmann, Hans- A./Haubl, Rolf (Hrsg.): Von Dingen und Menschen. Funktion und Bedeutung materieller Kultur, Wiesbaden: Westdeutscher Verlag, S. 61-74.

 

Selle, Gert (1997): Siebensachen: Ein Buch über die Dinge, Frankfurt a. M.: Campus.