Den eigenen Ton finden

Spielkarte aus der Publikation »Ins Offene – Kultur der Vielfalt gestalten«

»Wie die Welt für uns ist […] und wie wir uns in ihr befinden, erfahren wir nicht gegenständlich, sondern atmosphärisch.« (Hauskeller 1995, 101)

 

Wir erfahren sie mit unseren Sinnen, sodass nicht nur Bewegungen, Architekturen, Anordnungen und Platzierungen von Objekten, eigenes Empfinden und Befinden, sondern gerade Berührungen, Gerüche, Geschmäcker und Geräusche Formen der Begegnung prägen (vgl. Hauskeller 1995,196). Stimmen, Geräusche und Klänge bilden Atmosphären.

 

In der Kommunikation, in der musikalischen Improvisation, im Zusammenspiel entstehen Präsenzen – Präsenzen der Stimmen, Körper, Instrumente. Rainer Schützeichel beschreibt die Stimme zum Beispiel als eine Materialität, und zwar eine »aisthetische« (vgl. Schützeichel 2015), die sich in der Kommunikation und Improvisation zeigt.

 

Gerade die musikalische Improvisation – die Improvisation mit Stimme, Lauten und Geräuschen ist für die Darstellung und die Erfahrung des Atmosphärischen besonders geeignet.

Geprägt sind kommunikative, klangliche und musikalische Atmosphären durch Klangfarben, Instrumentationen, Dynamiken, Melodien, Harmonien, Rhythmen usw. Doch sind durch Klänge, Geräusche und Stimmen geschaffene Atmosphären im Gegensatz zur Farbe des Raums flüchtig. Sie sind zwar erinnerbar, jedoch nicht mehr zu lokalisieren. »Wer improvisiert (besonders die »freie Improvisation« ist hier gemeint, doch gilt das Gesagte in Abwandlungen auch für andere Formen des Improvisierens), begibt sich mehr oder weniger »zwischen die Stühle« der bewussten und kontrollierten Handlung.« (Weymann 2005, 22)

 

In der Improvisation entfernen sich die Spielenden von ihren Alltagsgeschehnissen und nähern sich der Präsenz des Ortes, des Zeitpunkts, der Mitspieler:innen, der Themen und Impulse, aber auch der ästhetischen Situation und ihrer Möglichkeiten an. Die Spielenden lassen sich vom Prozess und den Gegebenheiten führen. Es stellt sich ein Zusammenspiel ein, das alle Beteiligten verbindet. Die Atmosphäre des Vertrauens und der Zuversicht in den Prozess, können dazu beitragen, dass sich das Spiel im Zwischenraum entwickelt. Bei der Wahrnehmung der Atmosphäre im Zusammenspiel löst sich der Blick von den Einzelheiten. Daher sind »getönte« Räume auch sprachlich schwer zu erfassen und zu beschreiben (vgl. Weymann 2005). Die Wahrnehmung ist nicht auf Signale, Symbole, Informationen im engeren Sinne gerichtet, sondern auf so etwas wie Präsenz, Anwesenheit oder Fließerlebnisse. »Wir achten mehr auf Bewegungsmuster, nicht zuletzt auf unser eigenes Körpergefühl. Es zeigt sich darin ein ergänzendes Gegenstück zur Information: eine Grundstimmung oder Tönung, die alles was im Vordergrund ist, beeinflusst und »stimmt«.« (Weymann 2005, 26)

Literatur
Hauskeller, Michael (1995): Atmosphären erleben. Philosophische Untersuchungen zur Sinneswahrnehmung, Berlin: Akademie Verlag.

 

Schützeichel, Rainer (2015): Materialitäten und Atmosphären. Eine soziologische Analyse am Beispiel der menschlichen Stimme, in: Kalthoff, Herbert/Cress, Torsten/Röhl, Tobias: Materialität. Herausforderungen für die Sozial- und Kulturwissenschaften, Paderborn: Brill | Fink S. 393-412.

 

Weymann, Eckhard (2005): Atmosphäre – ein Grundbegriff für die Musiktherapie, in: Musikth. Umsch. 26 / 3, S. 236-249.